Verbindlichkeiten und Verschuldung

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Nun wollen wir uns den weiteren Positionen der Passivseite einer Bilanz widmen. Dabei geben die Passivposten darüber Aufschluss, wie das vorhandene Aktivvermögen finanziert ist. Dies geschieht entweder über Eigenkapital oder Fremdkapital. Diejenigen Passivposten, die nicht Eigenkapital sind, stellen dabei Verbindlichkeiten bzw. Schulden eines Unternehmens dar. Hat ein Unternehmen also eine Eigenkapitalquote in Höhe von 100%, sind sämtliche Aktiva durch Eigenmittel finanziert und es besteht keinerlei Verschuldung.

Dies ist jedoch in der Praxis so gut wie nie der Fall. Vielmehr bestehen in der Regel immer in irgendeiner Art und Weise Verbindlichkeiten. Schon wenn ein Unternehmen, das ausschließlich mit Eigenkapital finanziert ist, beispielsweise einen neuen Computer auf Rechnung anschafft, also die Zahlung erst in einigen Wochen leisten muss, besteht eine Verbindlichkeit. Diese beträgt in diesem Fall genau den in der Zukunft noch zu begleichenden Betrag und wäre in der Bilanz als Verbindlichkeit darzustellen. In unserem Beispiel besteht die Verbindlichkeit also gegenüber dem Computerhändler und ist von kurzfristiger Dauer. Auch die Höhe des Betrages ist bei einem Computer wohl überschaubar, sodass die Verbindlichkeit wahrscheinlich keine Bestandsgefährdung darstellt.

Aus dem angesprochenen Beispiel wird jedoch gut deutlich, wie wichtig es ist, sich die Verbindlichkeiten eines Unternehmens anzuschauen. Aus einer solchen Betrachtung lässt sich nicht nur beobachten, in welcher Höhe Verbindlichkeiten bestehen, sondern auch gegen wen und mit welcher Fristigkeit. Die Gläubigerstruktur ist dabei von nicht untergeordneter Bedeutung. So sind bestimmte Gläubiger bezüglich der Einforderung von Fristeinhaltung restriktiver. Banken und der Fiskus beispielsweise lassen ungern mit sich spaßen. Hingegen ist es oftmals einfacher, mit Zulieferern oder Mitarbeitern zu verhandeln, wenn dies denn notwendig werden sollte.

Bankverschuldung

Während die Kapitalmärkte in den USA deutlich intensiver ausgeprägt sind und sich Unternehmen leichter Eigenkapital beschaffen können, ist die bevorzugte Form der Fremdfinanzierung in Deutschland der Gebrauch von Bankkrediten. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die immer restriktiver werdenden Anforderungen der Banken erfüllt werden. Seit der Bankenkrise haben sich die Rahmenbedingungen verschärft.

Bei Bankkrediten sind zwei Komponenten wesentlich: Tilgung und Zins. Kredite sind zinstragend. Während der Laufzeit müssen also Zinsen entrichtet werden, quasi als Vergütung für die Bereitstellung der Mittel und natürlich zur Risikokompensation. Je höher der Gesamtkreditbestand und dessen durchschnittliche Verzinsung, desto höher ist auch die Zinsbelastung. Diese mindert wiederum das Ergebnis eines Unternehmens und kann zu einem wesentlichen Belastungsfaktor der Rentabilität werden.

Dementsprechend sollte die Zinsbelastung evaluiert werden. Teilt man den Zinsaufwand eines Jahres durch den durchschnittlichen Kreditbestand im selben Jahr, erhält man einen Näherungswert für die durchschnittliche Verzinsung der Kredite. Über den Zeitverlauf betrachtet können aus der Veränderung der Zinshöhe Ableitungen getroffen werden. Steigt und fällt diese etwa mit den Marktzinsen, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass überwiegend variabel verzinste Kredite bestehen. Dies wiederum könnte zu einer höheren Zinsbelastung führen, wenn die Zinsniveaus stark anziehen. Natürlich gilt dasselbe auch umgekehrt. Ein durchschnittlich steigender Zins könnte aber auch ein Indikator dafür sein, dass sich ein Unternehmen qualitativ verschlechtert hat und die Banken das erhöhte Risiko durch steigende Zinssätze zu kompensieren versuchen.

Eine Möglichkeit der Beurteilung, ob ein Unternehmen seinen aus den Krediten erwachsenen Verpflichtungen nachkommen kann, ist, sich den Zinsdeckungsgrad (Interest Coverage Ratio), der sich nach folgender Formel berechnet, anzusehen:

Zinsdeckungsgrad

Ist der Zinsdeckungsgrad größer 1, bedeutet dies, dass das Unternehmen in der Lage ist, die Zinszahlungsverpflichungen aus dem operativen Geschäft zu bedienen. Es gilt also: Je höher das Verhältnis ist, desto besser. Ist der Quotient jedoch kleiner 1, kann das Unternehmen die Zinsen nicht aus dem operativen Geschäft heraus begleichen und es besteht die Gefahr einer finanziellen Stresssituation.

Die zweite Komponente ist die Tilgung. Bankkredite haben entweder eine bestimmte Laufzeit und werden danach in voller Höhe zur Rückzahlung fällig oder werden in Raten über einen längeren Zeitraum getilgt. Insolvenz droht etwa, wenn ein Unternehmen einen in voller Höhe fällig werdenden Kredit nicht tilgen kann. Aber auch wenn ein Unternehmen seinen Ratentilgungen nicht rechtzeitig nachkommt oder bestimmte Auflagen nicht erfüllt, kann ein Kredit unter Umständen sofort und in voller Höhe fällig gestellt werden. Die betreffenden Auflagen sind in sogenannten Covenants (zu Deutsch: Kreditbedingungen) festgehalten.

Um die Tilgung im Auge zu behalten, sollte man sich die Fristigkeit der Kredite anschauen. Überwiegen kurzfristige Kredite, besteht oftmals ein höheres Risiko, da dem Unternehmen im Zweifel weniger Zeit verbleibt, um die Mittel zur Tilgung aufzubringen. Im Übrigen gilt dies nicht nur für Bankkredite, sondern auch für andere Mittel der Fremdfinanzierung, wie etwa Anleihen. Beobachtet man das Verhältnis von kurzfristigen zu langfristigen Krediten über einen Zeitraum hinweg, so kann man eine ”Fälligkeitswelle” eventuell anrollen sehen.

Insgesamt kann man also feststellen, dass das Risiko, dass es zu Verfehlungen bei Zins- und/oder Tilgungsdiensten kommt, ansteigt, je höher der Kreditbestand im Verhältnis zum Gesamtvermögen ist. Hierfür gibt es zwar keine feste Orientierungsgröße, es bietet sich aber wieder einmal eine Betrachtung über den Zeitverlauf an. Dabei kann zum Beispiel die Betrachtung von Bankverschuldung im Verhältnis zum Eigenkapital hilfreich sein:

Verschuldungsgrad

Eine Bankverschuldung relativiert sich allerdings auch, wenn auf der Aktivseite entsprechende Mittel (liquide Mittel, Wertpapiere etc.) bereitstehen, um die Kredite, oder einen Teil dieser, zu decken. Daher bietet sich häufig eine Betrachtung der Nettoverschuldung an, also der Differenz aus Krediten und finanziellen Mitteln. Der Quotient aus dieser Differenz und dem Eigenkapital wird Gearing genannt. Je kleiner das Verhältnis, desto niedriger ist der Bestand an zinstragenden Nettoverbindlichkeiten, und umso besser ist damit die Gesamtsituation.

Gearing

Verbindlichkeiten aus Lieferungen & Leistungen

Einer der wichtigsten Kreditgeber von Unternehmen sind Lieferanten. Zwar handelt es sich hierbei in der Regel nicht um langfristige oder zinstragende Kredite, aber dennoch spielen Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten, sogenannte Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, eine große Rolle bei der Unternehmensfinanzierung. Werden Rechnungen nämlich beispielsweise erst nach zwei Monaten beglichen, anstatt bereits nach einem, besteht ein Finanzierungsvorteil in der Höhe des Rechnungsbetrages, der nicht etwa durch teure Kontokorrentlinien gedeckt werden muss. Vielmehr kann das Geld in der Zwischenzeit für die Finanzierung neuer Projekte oder Aufträge verwendet werden.

Wann ein Unternehmen seine Rechnungen begleichen muss, hängt in der Regel davon ab, wie gut seine Verhandlungsposition ist. Besteht etwa eine hohe Abhängigkeit der Zulieferer, sind die Zahlungsziele in der Regel länger. Ein gutes Beispiel hierfür ist etwa die Automobilindustrie, wo die großen Hersteller eine klar bessere Verhandlungsposition als ihre Zulieferer innehaben.

Wie gut diese Verhandlungsposition ist, kann mittels der Kennzahl Kreditorenlaufzeit bestimmt werden:

Kreditorenlaufzeit

Hat ein Unternehmen also beispielsweise Ende des Jahres 2010 Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen in Höhe von 2 Mio. € und im Jahresverlauf Herstellkosten von 10 Mio. €, errechnet sich eine Kreditorenlaufzeit von 73 Tagen bzw. 2,4 Monaten. Eine Veränderung der Größe kann damit Aufschluss darüber geben, wie sich die Position des Unternehmens verschiebt. Die Kennzahl sollte jedoch mit Vorsicht genossen werden. Zumindest sind die üblichen Finanzierungsgewohnheiten und Zahlungsgepflogenheiten der jeweiligen Branche zu berücksichtigen.

Ein Unternehmen sollte darüber hinaus seine Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen begleichen können. Türmen sich diese im Verhältnis zu den Umsatzerlösen übermäßig auf, kann dies ein Indiz dafür sein, dass das Unternehmen Schwierigkeiten hat, die Verbindlichkeiten zu begleichen. Aber Achtung: Hier können natürlich auch verbesserte Verhandlungspositionen gegenüber Zulieferern, geänderte Vertragsbedingungen oder taktische Gründe verantwortlich sein.

Rückstellungen

Eine weitere Form der Schulden sind Rückstellungen. Diese werden getroffen, wenn bereits heute absehbar ist, dass eine zukünftige Leistung (wahrscheinlich) getätigt werden muss. Eine der wesentlichsten Rückstellungspositionen sind oftmals Pensionsrückstellungen. Dabei werden Mitarbeitern Pensionsleistungen versprochen, die aber erst in einigen Jahren zahlbar werden. Bis dahin werden diese Verbindlichkeiten in der Bilanz als Pensionsrückstellung zurückgestellt. Da das Thema Pensionsrückstellungen sehr komplex ist und ein eigenes Themengebiet darstellt, sei an dieser Stelle nur erwähnt, dass diese insbesondere bei deutschen Unternehmen häufig sehr hoch ausfallen. Zudem sind Pensionsrückstellungen als zinsbar einzustufen, da die Pensionszusagen verzinst werden. Allerdings lässt sich der entsprechende Zinssatz leicht aus den Jahresberichten herauslesen bzw. berechnen. Zudem sind Pensionsrückstellungen in der Regel sehr stabil und unterliegen keinen großen Schwankungen, sodass hier für die Risikoanalyse weniger Schwierigkeiten entstehen.

Sonstige Rückstellungen können z.B. Rückstellungen für Garantieverpflichtungen, Prozessrückstellungen oder Provisionsrückstellungen sein. Bei Rückstellungen ist zu beachten, dass diese, auch wenn sie in ihrer Höhe nicht unbedingt bekannt sind, sofort ergebniswirksam sind, also das Jahresergebnis mindern. Hier bietet sich damit ein gewisser Gestaltungsspielraum für Unternehmen. Sollen zum Beispiel Ergebnisse geglättet werden, kann in guten Jahren verstärkt rückgestellt werden und in schwachen Jahren eine Auflösung der ”überschüssigen” Rückstellungen erfolgen, sodass ein außerordentlicher Ertrag entsteht, der das Ergebnis positiv beeinflusst.

Ob solche ergebnissteuernden Maßnahmen stattfinden, kann durch eine Beobachtung der Rückstellungsentwicklung evaluiert werden. So sollten die sonstigen Rückstellungen im Regelfall in einem konstanten Verhältnis zu den Umsatzerlösen stehen, insofern diese überwiegend aus Garantierückstellungen bestehen. Provisionsrückstellungen sollten im Einklang mit den Vertriebsaufwendungen eines Unternehmens liegen, und so weiter.

Fazit

Verbindlichkeiten sind beim Prozess der Unternehmensanalyse ein sehr wichtiger Punkt. Nicht selten scheitern Unternehmen an einer schwachen Finanzierungsstruktur bzw. an einer erdrückenden Zinslast. Als Aktionär ist das Risiko zudem besonders hoch, da Aktionäre im Falle einer Insolvenz nachrangig sind. Kreditgeber, Lieferanten, etc. werden zuerst bedient. Für Aktionäre bleibt dann in der Regel wenig oder nichts übrig.

Durch eine gründliche Sondierung der Risiken auf der Passivseite kann jedoch das Risiko einer aus dem Fremdkapital resultierenden Belastung minimiert werden. Vielmehr ist der sinnvolle und richtige Einsatz von Fremdkapital ein wichtiges Finanzierungsinstrument, das die Rendite eines Unternehmens nachhaltig steigern kann.

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