Richtige Aktienauswahl: Des Teufels Anwalt
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Wenn es darum geht, die richtigen Aktien für ein Portfolio auszusuchen, werden wir von vielfältigen äußer- und innerlichen Einflüssen gelenkt. Dabei müssen wir nicht einmal merken, dass dem so ist. So lesen Sie zum Beispiel in einer Zeitschrift über ein interessantes Unternehmen; der Artikel führt dann eine Reihe von guten Argumenten auf, die stark für die Aktie des Unternehmens sprechen und gute Gründe aufführen, warum die Aktie steigen sollte. Natürlich glauben Sie diese Aussagen nicht ungeprüft und recherchieren entsprechend. So durchforsten Sie beispielsweise den Geschäftsbericht und analysieren die Homepage des Unternehmens oder stellen andere Nachforschungen an. Am Ende kommen Sie zu der Auffassung, dass der Autor des gelesenen Artikels tatsächlich kundig war und kaufen die Aktie.
So weit, so gut. Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht und nicht blind auf die Aussagen des Journalisten vertraut. Damit haben Sie schon einmal einen wichtigen Schritt getan: Die Wahrscheinlichkeit, eine richtige Investmententscheidung getroffen zu haben, ist gestiegen. Dabei haben Sie in der Regel nicht gemerkt, dass Sie keine objektive Entscheidung getroffen haben. Tatsächlich war Ihr Gehirn nach der Lektüre des Artikels aufgrund der guten Argumente positiv beeinflusst. Ihre weiteren Nachforschungen haben letztendlich nur dazu gedient, diese Argumente aufrechtzuerhalten und damit Ihre Entscheidung mit einer Art doppelten Bestätigung zu untermauern. Dabei ist es sogar wahrscheinlich, dass Sie bewusst auf genau diese Argumente geachtet und vielleicht sogar gegenteilige oder widersprechende Argumente übersehen haben, bzw. diesen keine oder nur eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt haben.
Dies hat Folgen. Das Investment, das Sie eingegangen sind, entspricht nun eventuell doch nicht den Kriterien, die Sie vielleicht ansetzen und die Ihrer Strategie zugrunde liegen. Das heißt wiederum, dass die Aktie nicht in Ihr Portfolio passt und eine andere Risiko-Rendite-Struktur aufweist, als Sie das eigentlich wünschen. Dementsprechend fällt ihre Rendite letztendlich schlechter aus, als sie könnte. Zumindest wird dies über einen längerfristigen Zeitraum der Fall sein, falls Sie Ihre Aktien öfters nach dem Muster unseres Beispiels auswählen.
Das Gehirn spielt uns einen Streich
Der Grund für diesen "Fehler" ist in unserem Gehirn zu finden. Wir sprechen hier nicht etwa über eine Schädigung des Gehirns, sondern über natürliche Vorgänge, die in allen Menschen verankert sind. Jedermann ist von Emotionen und Denkweisen geprägt, die sich nur schwer oder sogar gar nicht kontrollieren lassen.
Das oben angesprochene Problem ist in der Wissenschaft als "Confirmation bias" (Bestätigungsfehler) bekannt. Der Bestätigungsfehler ist ein sogenannter kognitiver Fehler. Kognitive Fehler gibt es viele; diese lassen sich im Allgemeinen auf fehlerhafte Schlussfolgerungen oder falsche Informationsverarbeitung zurückführen. Kognitive Fehler sind Verzerrungen der Denkweise bzw. unterbewusste, mentale Vorgänge bei der Datenverarbeitung, welche die Entscheidungsfindung beeinflussen. Sie verursachen also das Zustandekommen falscher Schlussfolgerungen. Damit wird allerdings auch deutlich, dass kognitive Fehler korrigiert werden können, im Gegensatz zu emotionalen Konflikten, bei denen sich dies deutlich schwieriger darstellt.
Der angesprochene Bestätigungsfehler hat nun folgenden Effekt: Wir suchen nach Bestätigung für eine bereits gebildete Meinung. Dies führt dazu, dass wir teilweise eine selektive Wahrnehmung ausbilden. Wir suchen gezielt nach Argumenten, die unsere Ansichten bestätigen, und ignorieren oder unterschätzen gegenläufige Informationen. Wir messen prinzipiell Meinungen, die unserer eigenen entsprechen, einen größeren Stellenwert bei. Es ist schlichtweg einfacher, mit gleichgerichteten Informationen zu arbeiten. Dies kann jedoch schwerwiegende Folgen haben. Bei der Auswahl einer Aktie kann dies dazu führen, dass wir negative Aspekte ignorieren. Dies setzt uns unter Umständen einem viel größeren Risiko aus, als wir eigentlich geplant hatten. Investitionsentscheidungen sind damit fehlerbehaftet.
In unserem Beispiel hat uns der Presseartikel dazu bewegt, der besprochenen Aktie positiv gegenüberzustehen. In der darauffolgenden Recherche haben wir uns dann unterbewusst auf genau die angesprochenen positiven Aspekte aus dem Artikel konzentriert. Mögliche gegenläufige Argumente wurden ignoriert oder als unwichtig eingestuft. Das Ergebnis kann entsprechend fatal sein.
Herdentrieb vermeiden
Ein weiterer Grund für das unserem Beispiel entsprechende Anlegerverhalten ist der Umstand, dass die meisten Menschen sich außerhalb des Meinungs-Mainstreams unwohl fühlen. Der Mensch besitzt ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, weswegen er sich verschiedenen Gruppen oder vorherrschenden Meinungen anpasst. Deshalb entstehen unter anderem Modetrends, zur Schau gestellte Unterstützung oder Ablehnung von Regierungen oder ruckartige Bewegungen an der Börse: verantwortlich ist der sogenannte Herdentrieb.
Der Herdentrieb ist an den Börsen immer wieder zu beobachten. Viele Menschen entdecken eine bestimmte Aktie oder Branche, oftmals, ohne genau zu wissen, warum. Zum einen sicherlich aus Bequemlichkeit: Wenn es alle machen, dann kann es ja schließlich nicht ganz falsch sein. Das stimmt selbstverständlich absolut nicht.
Der entscheidendere Faktor ist allerdings die Vorstellung, "geteiltes Leid sei halbes Leid". Aus diesem Grund tendieren Menschen gerne dazu, genau die gleichen Entscheidungen zu treffen wie ihre Mitmenschen. Wenn ein Investment scheitert, das viele andere auch getätigt haben, so kann man die Verantwortung leicht von sich weisen und so den Verlust besser verarbeiten. Im Falle unseres Presseartikels kann man den Journalisten aufgrund seiner schlechten Recherche verantwortlich machen, wenn die Aktie entgegen der Erwartung fallen sollte. Man kann sich so ganz einfach seiner eigenen Verantwortung entziehen und muss sich mit der schlechten Entscheidung nicht weiter auseinandersetzen.
Natürlich trägt man zumindest den finanziellen Verlust einer falschen Anlageentscheidung selbst. Diese Entschuldigung ist daher vollkommener Unsinn. Niemand zweifelt gerne an sich und seinen Entscheidungen. Wenn es an den Börsen insgesamt kracht, können wir dies viel besser verkraften, als wenn nur eine bestimmte unserer Aktien stark fällt. Immerhin sitzen ja unzählige andere mit im Boot, denen es genauso geht. Es ist im Endeffekt bequemer, sich der Massenmeinung anzuschließen und der Gruppe blind zu vertrauen, denn so kann man Konflikten leichter aus dem Weg gehen.
Das Prinzip des Advocatus Diaboli
Was auf der einen Seite bezüglich des sozialen Zusammenhalts in einer Gesellschaft Sinn ergeben mag, ist an der Börse stark kontraproduktiv. Wenn Sie sich der "Herde" anschließen, werden sie regelmäßig zu teuer kaufen, in Blasenbildungen hinein investieren und schlussendlich eine suboptimale Rendite erzielen.
Was also kann man tun, um sich dem Herdentrieb und dem Bestätigungsfehler zu entziehen?
Die Lösung des Problems lautet: Des Teufels Anwalt!
Das klingt zunächst komisch, ist aber eine der Arbeits- und Organisationspsychologie entnommene Technik , die auf dem Prinzip des “Advocatus Diaboli” aufbaut. Ursprünglich beschreibt das Prinzip des Advocatus Diaboli eine Maßnahme, die bei Arbeiten und Entscheidungsprozessen innerhalb von Gruppen eingesetzt wird. Dabei übernimmt ein Mitglied der Gruppe die Rolle des Advocatus Diaboli. Dieses ist dann mit der Aufgabe betraut, alle Vorschläge die in der Gruppe bezüglich der Lösung eines Problems gemacht werden, zu kritisieren. Zeichnet sich in einer Besprechung etwa ein Konsens ab, sucht der Advocatus Diaboli gezielt nach Gegenargumenten, um den Lösungsvorschlag zu torpedieren.
Der Zweck dieser Technik liegt darin, dass auf die Gegenargumente des Diaboli reagiert werden muss, und dass überzeugende Argumente gesucht werden müssen, die zur Entkräftung des Advocatus Diaboli führen. Vielleicht werden dabei Probleme aufgedeckt, die man bisher übersehen hatte. In diesem Prozess kann es dann auch dazu kommen, dass Mitgliedern der Gruppe die Augen geöffnet und vollständig neue Perspektiven eröffnet werden. Gewöhnlich manifestieren wir sehr schnell unsere Meinung. Diese zu ändern und dann eventuell auch noch offen zuzugeben, dass man sich geirrt hat, ist schwer.
Kurzum: Wir sind sehr schnell voreingenommen und in unseren Ansichten vorgeprägt. Gerade bei Investmententscheidungen ist dieses in unserer Natur liegende Verhalten kontraproduktiv. Der Advocatus Diaboli hilft dabei, diese Schwäche zu überwinden.
Der Diaboli sind Sie selbst
Was heißt das nun für Sie persönlich? Sollten Sie einen Diaboli engagieren, der Ihre Investmententscheidungen ständig kritisiert und hinterfragt? Das ist sicherlich nicht notwendig, denn Sie können Ihr eigener Advocatus Diaboli sein.
Das Vorgehen dabei klingt eigentlich recht einfach. Hinterfragen Sie immer Ihre Entscheidungsgründe. In der Praxis ist dies allerdings etwas komplizierter und aufwendiger, als es sich anhört, denn bei der Investitionsentscheidung spielen in der Regel eine ganze Reihe von Gründen eine Rolle.
Optimalerweise gehen Sie wie folgt vor: Machen Sie sich eine Liste mit Ihren Kaufgründen. Wenn Sie also den Artikel (unseres Beispiels) lesen, listen Sie sich die guten Argumente auf, welche für die Aktie sprechen. Sie können die Liste nach Ihrer eigenen Recherche gerne auch um weitere positive Punkte ergänzen, sofern diese vorhanden sind. Nun schlüpfen Sie in die Rolle des Advocatus Diaboli. Nehmen Sie sich Ihre Liste und hinterfragen Sie gezielt jeden der positiven Punkte. Denken Sie dabei auch ein, zwei Schritte weiter und hinterfragen immer weiterführend.
Ein positiver Aspekt könnte zum Beispiel die gute Marktstellung des Unternehmens bei seinen Kunden sein. Schön und gut, aber mehr als eine Phrase muss das nicht sein. Wenn dem so ist, dann muss dieses Argument auch belastbar sein. Wer sind die Kunden? Warum ist die Marktstellung so gut? Wegen der guten Produkte, der niedrigen Preise oder einer Monopolstellung? In welchem Markt bewegt sich das Unternehmen überhaupt? Wächst der Markt oder schrumpft er? Suchen Sie Antworten auf diese Fragen. Daraus ergeben sich wieder neue Fragen.
Am Ende eines solchen Prozesses haben Sie eine ganze Fülle von Aspekten abgearbeitet und eine Entscheidungsbasis zusammengetragen, die, wenn Sie sauber gearbeitet haben, von unschätzbarem Wert ist. Nur die wenigsten machen sich die Mühe den Advocatus Diaboli zu "engagieren". Damit haben Sie sich einen Wettbewerbsvorteil geschaffen, der enorm sein kann.
Nie wieder Hockey-Sticks
Ein weiteres wichtiges Beispiel sind sogenannte Hockey-Stick-Schätzungen. Der Begriff beschreibt Schätzungen, die in ihrer grafisch dargestellten Form einem Hockey-Stick, also einem Hockeyschläger, ähneln; diese Schätzungen können beispielsweise Umsatzerlöse oder Ergebnisse betreffen. Die Kurve steigt also zunächst flach an und verläuft dann exponentiell nach oben. Meist stellen sich derartig offensive Prognosen allerdings als viel zu hoch heraus. Wenn Sie darauf vertrauen, wird Sie das Unternehmen (oder der Aktienkursverlauf) enttäuschen.
Mit der Anwendung des Advocatus Diaboli können Sie dem effektiv begegnen, weil Sie die Prognosen hinterfragen. Warum sollte der Umsatz so steigen? Wieso kommt es zu dem Ergebnissprung? Wenn Sie immer weiter nachhaken, werden Sie schnell auf den springenden Punkt treffen, an welchem sich entscheidet, ob die Prognosen zutreffen könnten oder nicht. Überzogene Erwartungen können sich dann schnell relativieren.
Füttern Sie sich mit Argumenten
Will man an der Börse erfolgreich sein, ist es also eine der wichtigsten Eigenschaften, sich mit Argumenten und Informationen zu versorgen. Die heutige Internetlandschaft bietet dafür großartige Möglichkeiten: Foren, Blogs, Websites und Suchmaschinen sind immer verfügbar. Wer den nötigen Fleiß und Zeitaufwand mitbringt, kann so enorm erfolgreich sein. Auch traditionelle Informationsquellen sind natürlich nach wie vor wichtig, etwa der Austausch mit anderen Aktionären. In der Diskussion mit anderen Investoren oder Interessenten können ebenfalls Argumente fallen, die Ihnen eventuell noch gar nicht bewusst waren. Hauptversammlungen und Anlegerveranstaltungen eignen sich dafür hervorragend. Suchen Sie sich Gleichgesinnte und reden Sie über Aktien und Börse, denn auch im Internetzeitalter gilt, das vier Augen mehr sehen als zwei. Und noch mehr Augen sehen eben noch viel mehr.
Fazit
Die Informationsquellen sind heutzutage schier unerschöpflich. Die Reizflut ist entsprechend hoch. Unsere ureigenen Eigenschaften und dieser Umstand verleiten uns dazu, Entscheidungen nicht zu hinterfragen. Das kann an der Börse schmerzhafte Konsequenzen haben. Daher ist die Anwendung des Prinzips des Advocatus Diaboli ein hervorragendes Instrument für Anleger, ihre Anlageentscheidungen zu verbessern. Hinterfragen Sie die Gründe Ihrer eigenen Entscheidungen, so werden Sie auf blinde Punkte aufmerksam, an die Sie bisher nicht dachten, und erlangen eventuell eine vollkommen neue Sicht auf die Dinge. Die konsequente Anwendung des Advocatus Diaboli wird die Qualität Ihrer Anlageentscheidungen, und damit Ihres Portfolios, verbessern. Schließlich wird dies auf mittlere und lange Sicht auch zu einer besseren Rendite führen, weil falsche Entscheidungen seltener vorkommen.
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